Vorwarnung: Ich zeige hier Bilder von Verletzungen und Wunden.
21. Januar 2025
Es war noch früh morgens, als Fatma mich, mehrfach hintereinander, auf dem Handy anrief. Wir waren noch im morgendlichen Familienchaos, also rief ich sie kurz darauf zurück. Sie war erleichtert und auch sehr aufgeregt. Sie hatte nachts eigentlich ihre Katze gesucht, dabei aber den verletzten Alt-Igel im Garten entdeckt. Und das im Januar… Ihr war sofort klar, hier stimmt etwas ganz und gar nicht, so sammelte sie ihn ein. Provisorisch brachte sie ihn im Badezimmer unter, versorgte ihn mit Wärme, Wasser und etwas Futter über die Nacht. Sie selbst war schon auf dem Weg zur Arbeit, organisierte aber ihren Mann, der „Riccio“ dann zu mir brachte.
Seine Wunde war schnell zu erkennen, am Rücken fehlten einige Stacheln, mittig davon ein „Loch“, jedoch noch sehr verklebt mit Dreck und Blättern. Vorsichtig weichte ich die Wunde mit entsprechender Lösung auf und säuberte sie nach und nach. Riccio war ganz ruhig, rollte sich langsam aber sicher auf und ließ mich gewähren. Als würde er mir zeigen „ich weiß, du möchtest helfen“. Ich gönnte ihm zwischendurch immer wieder Erholungspausen, wo er auf der Wärmematte ausruhen und Kraft sammeln konnte. Infusionen mit Elektrolyten und Vitaminen gaben ihm zusätzlich etwas Energie. Er wog nur 950g, je näher ich ihn anschaute, umso besser konnte ich erkennen, welch ein „Urgestein“ an Igel da vor mir saß. Seine Haut schon ganz ledrig, an seinen Ohren fehlten kleine Ecken, seine Pfoten waren riesig (ehrlich, ich habe noch nie soooooo große Igelpfoten gesehen!), seine Haare ganz borstig und sein Körper viel zu schmal und ausgezehrt.
Vermutlich müsste er mindestens 500g mehr auf die Waage bringen.
Stück für Stück arbeiteten wir uns gemeinsam an seiner Wunde voran. Ich spülte den Schmutz heraus und konnte langsam aber sicher erahnen, was mich erwartete. Die Wundöffnung selbst, vielleicht ca 4cm groß, jedoch mit einer riesigen Wundtasche unter der Haut. Ganz vorsichtig versorgte ich seine Wunde, reinigte und desinfizierte sie und nach tierärztlicher Rücksprache erhielt er natürlich eine antibiotische Therapie.
Eine so große Wunde darf nicht zu schnell zu gehen. Sie muss langsam, von außen nach innen heilen, schließt sie sich zu schnell, bilden sich Abszesse und verschlechtern die Chancen. Sein Zustand war mehr als kritisch. Am Mittag rief Fatma mich an, wollte fragen, wie es ihm geht und ob ich eine Prognose sagen könne. Ich sagte ehrlich, dass ich nicht weiß, ob er es schafft. Eine so große Wunde, der viele Schmutz darin. Die Gefahr einer Sepsis oder einer Nekrose war enorm. Ob die Haut wieder anwachsen würde? Dazu wusste ich auch noch nicht, welches Paket an Innenparasiten er noch mitbrachte, denn ich wartete noch auf eine Kotprobe. Auch seine Grundsituation, abgemagert und geschwächt, machten mir ehrlicherweise nicht viel Hoffnung. Aber aufgegeben wird erst, wenn der Igel dies signalisiert, zu viele kleine und große „Wunder“ haben wir mit diesen wunderbaren Tieren schon erlebt.
Riccio hingegen saß bereits am Napf, als ich zur Kontrolle ins Zimmer kam. Vorsichtig, mit kleinen Mengen über den Tag verteilt, fütterte ich ihn wieder an, um ein Refeeding-Syndrom zu vermeiden. Dazu Flüssigkeitsgaben per Infusion, da eine so große Wundfläche auch einen großen Flüssigkeitsverlust mit sich bringt. Anfangs spülte ich die Wunde 2x pro Tag, versorgte sie dann wieder mit einer Tamponade, die die Wundflüssigkeit aufsaugt, aber auch das kontrollierte abheilen ermöglicht. Riccio erstaunte mich bei jedem Mal wieder, weder fauchte, noch puffte oder zuckte er. Er rollte sich auch nicht ein, sondern entspannte sich förmlich bei der Versorgung der Wunde. Als ob er merkte, dass es ihm hilft.
Jeden Tag schrieb Fatma, fragte, wie es ihm geht. Nur selten erleben wir so viel Anteilnahme und Herzblut und ich freute mich wirklich sehr darüber, dass jemand genauso viel Liebe für diese grandiosen und einzigartigen Tiere übrig hat, wie ich auch.
Umso mehr freute ich mich, ihr nach einigen Tagen berichten zu können, dass die Wunde keine Nekrosen zeigte. Alles war gut durchblutet, schön rosa, kein Eiter oder ähnliches in Sicht. Und: sie wurde kleiner. Stück für Stück!
Nach ca. 14 Tagen war von der tiefen Tasche nur noch die oberflächliche Wunde übrig. Nun zeigte Riccio langsam auch mal das igeltypische Puffen und meckern. Als ob er sagte „nun ist doch mal gut mit dem ständig nassen Zeug auf meinem Rücken!“
Sein Glück war übrigens auch: in seiner Kotprobe zeigten sich nur wenige Haarwurmeier. Ansonsten war es absolut unauffällig. Sein Körper hatte sicherlich auch schon genug mit der Wundheilung zu tun, sodass hier nicht noch erschwerend ein Parasitenbefall bekämpft werden musste oder an ihm zehrte.
Riccio, du unglaubliche Seele. Ich denke noch immer mit einem dankbaren Lächeln an dich. Du bist wirklich ein ganz besonderes Wesen, strahlst so viel Ruhe und Weisheit aus mit deiner ganzen Art. Gerne wüsste ich, was du bereits alles erlebt hast. Aber besonders freue ich mich, dass du tatsächlich selbst diese Eskapade überlebt hast und dich auf den kommenden Sommer bei deiner so aufmerksamen und liebevollen Finderin freuen darfst! Pass gut auf dich auf!